Asymmetrische Online-Diskussionen - Warum Moderatoren auch in Unternehmen wichtiger werden
Schopenhauer hat in seiner Eristrischen Dialektik oder "Die Kunst, Recht zu behalten" geschrieben:
Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob. Das Persönlichwerden besteht darin, daß man von dem Gegenstand des Streites (weil man da verlornes Spiel hat) abgeht auf den Streitenden und seine Person irgend wie angreift: man könnte es nennen "argumentum ad personam".
Diese Technik, das ad hominem/ad personam-Argument, der persönliche Angriff auf einen Diskussionspartner, ist nicht neu. Das Argument ad hominem erwähnt Schopenhauer, mit gutem Grund, als letzten der 38 "Kunstgriffe". Es kommt zum Einsatz, wenn einem nichts anderes mehr einfällt oder das Gegenüber einfach die besseren Argumente hat.
Genau das beobachten wir in vielen Online-Diskussionen, auf den einschlägigen Social Media-Plattformen.
Woher kommt das? Meiner Meinung nach hat es viel mit der Asymmetrie in der Online-Diskussion zu tun - und am besten kann man das in Live-Formaten wie Streams beobachten. Wir haben hier einen sprechenden Streamer und chattende Teilnehmer. Wir können fünf asymmetrische Merkmale ausmachen:
- Geschwindigkeit
- Gleichzeitigkeit (das geschriebene Wort ist zeitverzögert)
- Intensität (Gesprochene Botschaften wirken anders als geschriebene und können leichter betont werden, Umgangssprache funktioniert geschrieben weniger gut)
- "Autorität" des Hosts (User folgen meist aus Sympathie einem Host, abweichende Meinungen sind daher nicht gern gesehen)
- Schreiben setzt einen höheren Skill voraus
Oft entstehen keine ausgewogenen Diskussionen, weil Argumente in verschiedener Geschwindigkeit, Gleichzeitigkeit und Intensität vorgetragen werden. Außerdem entsteht schnell die Situation 10 gegen einen.
Der Moderator wird auch in Unternehmen immer wichtiger
Eine der möglichen Lösungen liegt in der Rolle der Moderatoren. Den Moderator gibt es, seit es Online-Communities gibt - allerdings ist er in Live-Zeiten noch einmal deutlich wichtiger geworden. Der Moderator muss schneller sein, er muss live dabei sein, er muss klare Standards vertreten. Gute Moderatoren in Stream-Chats sind wesentlicher Bestandteil für eine gute Community.
Und daraus können wir auch etwas für die Unternehmenskommunikation lernen - in Zeiten von "Social Intranets", deutlich mehr Aktivität von Mitarbeitern auf Plattformen wie LinkedIn, sollten Unternehmen lernen, dass Kommunikation sich auf der einen Seite nicht mehr ohne Weiteres in intern und extern aufteilen lässt - zumindest, was die Funktionsweise der Kanäle betrifft. Und sie werden auf allen Kanälen Menschen brauchen, die Content moderieren, freie Diskussionen ermöglichen, aber gleichzeitig auch Standards etablieren, die mehr Symmetrie in Diskussionen bringen. Diese Punkte sind dabei besonders wichtig:
- Klare Regeln, an die sich jeder im Unternehmen halten muss (Netiquette)
- Keine Bevorzugung von Kolleginnen oder Kollegen höherer Hierarchie
- Eine Kultur etablieren, in der jeder Mitarbeiter vom CEO bis zum Trainee aktiv an Diskussionen teilnimmt oder Themen startet
Ein Unternehmen, das diese Punkte berücksichtigt wird auch eine deutlich höhere Interaktionsrate, mehr Kommentare und Fragen in Live-Formaten erzeugen. Denn die Diskussion ist dann "gelernt", die Interaktivität, der Austausch zwischen Mitarbeitern, Vorgesetzten und Moderatoren ein gelebter Standard.